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Für Gold wird es wohl nicht reichen

von Dominik Ignée

Breisach - Das Flaggschiff des deutschen Rudersports ist der Achter. Ob die junge Mannschaft um den erfahrenen Steuermann Peter Thiede allerdings schon reif genug für eine Medaille in Peking ist, ist mehr als fraglich. Die gute Stimmung trübt das jedoch keineswegs.


Steuermann Peter Thiede arbeitet an der Trainingsrudermaschine - und die Ruderkollegen schauen zu. Foto: dpa

Der Mann, auf den sie hören, ist im Vergleich zu allen anderen ein Zwerg. Er heißt Peter Thiede, ist 167 Zentimeter hoch und sitzt bereits seit 1993 beharrlich im Deutschlandachter. 40 Jahre ist der Rostocker inzwischen alt. Er gab schon vor der Wende im DDR-Flagschiff die Kommandos und sah Generationen von Ruderriesen kommen und gehen. Doch der leichtgewichtige Wortführer blieb stets da, wo er hingehört: vorne im Boot, den rudernden Kleiderschränken zugewandt, ihnen den Schlagrhythmus zurufend.

Peter Thiede kommt im deutschen Boot in etwa dieselbe Bedeutung zu wie vorn auf der Motorhaube eines Rolls-Royce die berühmte Kühlerfigur Spirit of Ecstasy. Anders ausgedrückt: gab es jemals einen besseren Steuermann? Negativ.

Nur einer lacht nicht

In Breisach am Rhein ist das Trainingslager des Achters, und es ziehen von Frankreich her plötzlich dunkle Gewitterwolken auf. Trotzdem lassen die Ruderer zu Übungszwecken ihr Boot zu Wasser. Die baumlangen austrainierten Männer schultern ihr Sportgerät und schlappen fröhlich pfeifend auf den Steg. Einer von singt sogar "Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus". Allgemeines Gelächter.

Nur Thiede lacht nicht. Erst als er einen doch sehr militärisch klingenden Befehl erteilt, lassen die Ruderer ihr Boot vorsichtig ab. Thiede hat nicht nur zu Wasser das sagen, sondern auch zu Land.

Er, der der Vater einiger Athleten sein könnte, geht seinen Kollegen manchmal ein wenig auf die Nerven, auch wenn er natürlich akzeptiert ist. "Es gibt keinen einzigen Schlag, bei dem der Peter mal nichts sagt", stöhnt Florian Eichner, den sie alle nur "Düse" nennen, weil er im Mittelschiff für Dampf sorgt. Seine Kollegen Philipp Naruhn Matthias Flach verdrehen die Augen und nicken zustimmend - während Thiede, der kleine Schleifer, gelassen neben ihnen hockt und höchst zufrieden grinst.

Alte Zöpfe abgeschnitten

"Ich bin hier nicht der Opa oder der Papa, meine Aufgabe ist es, die Jungs zu beruhigen, wenn es nötig ist, und ihnen in den Hintern zu treten, wenn der Vorsprung schmilzt", sagt der Steuermann. In Peking wird Thiede seine vierten und letzten Olympischen Spiele bestreiten, und da erwartet ihn wirklich keine leichte Aufgabe.

Im Team des Deutschlandachters wurden in den vergangenen Jahren nämlich alte Zöpfe abgeschnitten. Von verdienten Rudergrößen, die von selbst nicht den Absprung geschafft hätten, trennte man sich - und der Trainer heißt inzwischen Christian Viedt. Er ist ein junger, ruhig wirkender Geselle, bei dem man sich kaum vorstellen kann, dass er die Truppe auch mal richtig zusammenstaucht. "Man muss hin und wieder den Hammer kreisen lassen", sagt Viedt in ruhigem Ton. Es ist aber nur der zarte Versuch, Härte zu demonstrieren, die es möglicherweise nicht gibt.

Christian Viedt verrichtet seine Arbeit in der Funktion eines Interimstrainers, wie es für ihn nach Peking weitergeht, ist ungewiss. Erwarten darf der Deutsche Ruderverband von dem Coach und seinem Steuermann allerdings nicht, dass die "Operation Gold" zum Selbstläufer wird. Für viele der jungen, aber hochveranlagten deutschen Ruderer kommt Olympia 2008 wohl noch zu früh. Was ihnen fehlt, ist Erfahrung. Das Problem steht ohnehin schon fest: sollte der Deutschlandachter in Peking "untergehen", wird es Kritik hageln, denn in kein deutsches Boot werden höhere Erwartungen gesetzt als in das Flaggschiff. Seit Jahrzehnten ist das so.

Zum Erfolg verdammt

In den goldenen Sechzigern holte der Achter zwei Olympiasiege, erst 1960 in Rom, später 1968 in Mexiko. Die letzte Goldmedaille datiert aus dem Jahr 1988, danach gab es einen dritten, einen zweiten und einen achterunwürdigen vierten Platz in Athen. "Die Sportzuschauer warten wieder auf einen großen olympischen Erfolg", weiß Viedt, der es ärgerlich findet, dass darüber immer die Podiumsplatzierungen bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften vergessen werden, 2006 gab es sogar den Titel. Der Deutschlandachter hat es nicht leicht: stets zum Erfolg verdammt. Man dürfe aber niemals vergessen, betont Viedt und hebt den Finger, dass es auch in anderen Nationen eine Achtertradition gebe. Zum Beispiel bei den Amerikaner und Kanadiern. Das sind die Topfavoriten auf den Sieg in China.

"Zuletzt in Luzern befanden wir uns zehn Sekunden hinter der Weltspitze, und später gab es keine Möglichkeit mehr, unter Wettkampfbedingungen zu trainieren", bemängelt der Coach und nimmt seine Leute damit vorsorglich in Schutz, sollte es keine Medaille geben. Inzwischen ist die Übungsfahrt beendet. Die hochgewachsenen Burschen sind nass geworden, die dunklen Wolken aus Frankreich haben sich über ihnen entladen.

Nudeln ohne Ende

Im Bootshaus verstauen sie feinsäuberlich ihr 16 Meter langes Boot, es war 40.000 Euro teuer, da dürfen keine Kratzer in den Lack. Zwei Stunden später lädt sich die Kücken-truppe im Gasthaus Krone in Achkarren bei Breisach am Büfett die Teller voll: Nudeln ohne Ende, Fleischberge, Salat - man muss bei ihnen nicht die Sorge haben, dass auch nur irgendetwas etwas übrig bleibt.

Einer der ruhigsten von ihnen ist Andreas Penkner, der Schlagmann, der den Takt vorgibt. Penkner ist 25 und damit schon einer der wenigen Routiniers im Boot. Im Mittelschiff sitzt der Motor mit jungen kraftstrotzenden Männern wie Eichner und Naruhn. Und dann gibt es noch Flach, den "Hybrid", der technisch versiert ist und kräftig zugleich - er soll mit etwas weniger Aufwand dafür sorgen, dass die Geschwindigkeit gehalten wird.

"Für uns ist Peking wie Wimbledon für Tennisspieler - also das Nonplusultra, auf das wir alle hingearbeitet haben wie verrückt", sagt Flach. Seine Kollegen um ihn herum kichern, weil er diesen Satz so erwachsen und staatsmännisch vorgetragen hat. Der neue, junge Deutschlandachter befindet sich also in bester Laune. Es wäre ein Jammer, würde sie ihm in Peking vergehen.

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